Geoinformation und Landmanagement
Géoinformation et gestion du territoire
Geoinformazione e gestione del territorio
Suche
Close this search box.

Vermessung der Gotthardbahn-Tunnel

Vermessungsarbeiten an den Gotthardbahn-Tunnel der Bergstrecke Erstfeld – Biasca

Der ausführliche Bericht über die Vermessungsarbeiten an den Gotthardbahn-Tunnel der Bergstrecke Erstfeld – Biasca behandelt im 2. Kapitel die vorhandenen und neu erstellten Fixpunkt- und Plan- Grundlagen für die Trassierung der Zufahrtsstrecken. Kapitel 3 beschreibt die initialen Vermessungshauptpunkte für den Tunnelvortrieb und das Vorgehen bei selbigem. Dann werden die Grundlagenvermessungen und Tunnelabsteckungen Otto Gelpkes (Kapitel 4) und Carl Koppes (Kapitel 5) anhand ihrer originalen Publikationen geschildert, die Abbildungen 1 und 2 zeigen ihre Hauptdreiecks- netze. Die beiden Ingenieure haben zeitweise parallel gearbeitet, Gelpke war Vorstand der topographischen Abteilung der Gotthardbahn-Gesellschaft, Koppe sein Untergebener. Dieser Umstand führt im Bericht – bedingt durch die Literaturquellen – zu Mehrfachnennungen einzelner Tatbestände. Kapitel 6 fasst die Absteckung der sieben Kehr- und Spiraltunnel zusammen, in Kapitel 7 werden die Beiträge von Vorgesetzten oder Rezensenten und von Nachforschenden nach dem Jahre 1900 angesprochen. Kapitel 8 beschreibt die damals verwendeten Theodolite und Passageinstrumente. Die meisten sind heute noch vorhanden und gut erhalten. Nach einem Glossar (Kapitel 9) zu heute nicht mehr oft gebrauchten Begriffen listet Kapitel 10 die verwendeten Quellen und ihre Fundorte auf. Der Anhang (Kapitel 11) diskutiert die hauptsächlichen Fixpunkte, positioniert sie in den Bezugsrahmen LV03 (Abb. 3) und LV95/LN02 und schliesst auf ihren heutigen Zustand. Weiter inventarisiert der Anhang die heute noch vorhandenen Messinstrumente und den massiven Messpfeiler des Observatoriums Göschenen.

Zusammenfassend lässt sich aufgrund der Nachforschungen feststellen:

  • Die grundlegenden Methoden waren die Triangulation und die Polygonierung. Weiter das geometrische Alignement, denn lange Tunnel verliefen bis 24.7.1908 (Einbruch des Lötschbergtunnels im Gasterntal) streng in einer Vertikalebene, Kurven in der Horizontalebene wurden mittels geradlinig weitergeführter Richtstollen bewältigt (z. B. bei dem in einem 300 m Radius endenden Tunnel in Airolo).
  • Die Höhen wurden mittels geometrischem Nivellement oder trigonometrischer, seltener auch barometrischer Höhenmessung übertragen.
  • Topografische Plangrundlagen wurden mit Messtisch und Kippregel im Messtischverfahren grafisch und halbgrafisch erstellt, anfänglich im Massstab 1:10000, später 1:2500 bis 1:1000, letzterer für örtlich begrenzte Katasterpläne (z. B. Göschenen) und Detailprojekte.
Abb. 1: Triangulationsnetz von O. Gelpke (Gelpke 1871, S. 18).
Abb. 2: Triangulationsnetz von C. Koppe (ETH-Bibliothek, Rara und Karten).
  • Die Instrumentenbauer stellten die Messmittel meist auf Bestellung her und nicht in Serien: Die Gotthardbahn-Ingenieure erstellten dazu Konstruktionszeichnungen und ihre Erfahrungen flossen in Neuentwicklungen ein.
  • Der geodätische Massstab stammte anfänglich aus der damals noch ungenügenden Landestriangulation, dann aus einer (mehrfachen) 1450.44 m Basismessung von Otto Gelpke in der Talebene von Andermatt. Diese war mitverantwortlich für die späteren Durchschlagsfehler.
  • Die mechanischen Theodolite erreichten eine beachtliche empirische Richtungs-Standardabweichung aus der Ausgleichung von 0.75 mgon (Gelpke )bzw. 0.31 mgon (Koppe); bei den Kehrtunnel 1.9 mgon. Die hauptsächlich verwendeten Theodolite (Abb. 4) und grossen Passageinstrumente (Abb. 5) sind gut erhalten vorhanden (bei swisstopo, in der Sammlung Kern, im Verkehrshaus der Schweiz).
  • Distanzen wurden mit 20 m Stahlbändern oder kalibrierten 3 m Holzlatten gemessen, längere Distanzen wurden aus der Triangulation gerechnet bzw. bei den Kehrtunneln wurden Messbasen angelegt. Die Messmittel wurden zwar genügend oft kalibriert, wichen aber im Tagesverlauf wegen Wärme- und Luftfeuchtigkeitseinflüssen von den Kalibrierwerten ab.
  • Die messtechnische und rechnerische Redundanz wurde hoch gewichtet und führte so zu zuverlässigen Resultaten.
  • Ausgewertet wurde von Hand: Triangulationsnetz-Berechnungen mit bedingter Ausgleichung nach der Methode der kleinsten Quadrate, mit logarithmischen Rechenoperationen und evtl. Rechenschiebern (letztere sind nicht dokumentiert).
  • Nur Koppe hat astronomisch beobachtet und sphärische Reduktionsgrössen berücksichtigt (sphärischer Exzess, Reduktionen ins Projektionssystem).
  • Die (empirischen) Lotabweichungen haben weder Gelpke noch Koppe wissenschaftlich streng behandelt, die Refraktionskoeffizienten haben beide ermittelt.
  • Transportmittel waren Postkutsche, Stollenbahn und Fussmarsch mit vielen Lastenträgern.
  • Meldungen wurden übermittelt mittels handschriftlichem Brief in Kurrentschrift, Zurufen, Hornsignalen/Pfeifen, Lichtzeichen (mit Kerzen- oder Petrollampen), ab 1875 mittels Morse-Telegrafie. Ein Einsatz von Heliographen wird in der Literatur nicht erwähnt.
  • Die Beteiligten waren physisch weit mehr gefordert als sie es heute sind.
  • Der Bundesrat legte den offiziellen Baubeginn der Gotthardbahn auf den 1. Oktober 1872 fest, Favre begann am 24.10.1872 mit dem Ausbruch in Göschenen nach der belgischen Baumethode (im Tunnelquerschnitt von oben nach unten), der Durchschlag geschah am 29.2.1880: Längsfehler 7.11 m, Querfehler 33 cm, Höhenfehler 5 cm.
  • Der Bau des «grossen Tunnels» kostete 61 Mio. Fr., die Vertragssumme Louis Favres lag bei Fr. 47 804 300 für 14900 m Tunnel. 1938 war der Tunnel 15002.64 m lang, heute wegen einer Strassenüberdeckung in Airolo etwas länger.
  • Der Arbeitsfortschritt wurde in ganz Europa mitverfolgt und lebendig diskutiert
Abb. 3: Verzerrungskarte Gelpke/Koppe – Zylinderkoordinaten (swisstopo Archiv, 1937).

Das Studium der Literaturquellen in ihrer vollen Tiefe führte zu wachsender Begeisterung und Ehrfurcht vor den grossen Herausforderungen und Taten der Vermessungsingenieure von anno 1869– 1881. Heute kann man sich vor ihnen nur verneigen und ihre Leistungen staunend würdigen.


Abb. 4: «Gotthard-Theodolit», Bestimmung der Gotthard-Tunnel Achse, 1874 (swisstopo Bild 9287, 2013).
Abb. 5: grosses Passageinstrument von C. Koppe (Sammlung Kern, Stadtmuseum Aarau).

Quellen:

Siehe Kapitel 10 des vollständigen Berichts.

Beat Sievers

Bahnhofstrasse 11, CH-3454 Sumiswald, sievers-frey@bluewin.ch
Newsletter abonnieren

Das könnte Sie auch interessieren:

Newsletter anmelden

Und nichts mehr verpassen

Login

Login