WSL-News: Online-Pläne und -Karten sind nützlich. Aber wie beeinflusst es Ergebnisse, wenn die Planung im digitalen Raum abläuft? Welche Rolle spielen Softwarefirmen und sind die Prozesse dann noch politisch und sozial gerecht? Um Fragen wie diese zu beantworten, hat die Raumplanerin Prof. h.c. Dr. Anna Hersperger der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL einen renommierten SNF-Advanced Grant erhalten.
Anna Hersperger, warum muss man die Digitalisierung der Raumplanung erforschen?
Die Planung des öffentlichen Raums ist ja ein sehr politischer Prozess. Darum ist es wichtig zu wissen, wer von der digitalen Transformation profitiert und wer nicht. Zum Beispiel wird die Digitalisierung stark von den Technologiefirmen getrieben, die Softwares entwickeln. Aber derzeit fehlen Informationen dazu, was das für Auswirkungen hat.
Was wird denn digitalisiert?
Früher wurden in der Raumplanung die Pläne – zum Beispiel Zonen- oder Richtpläne – in Form von Karten und Berichten auf Papier erstellt und waren öffentlich einsehbar. Heute wird das abgelöst. In Zukunft ist alles digital erfasst, auf Plattformen wie GIS-Browsern, im PDF-Format oder in anderen Textformaten. Die Papierform ist im Moment oft immer noch die rechtlich bindende Form, aber das wird sich ändern.
Warum ist das ein Problem? Das klingt doch nützlich.
Ja, das hat sehr viele Vorteile. Diese werden in der Forschung und Entwicklung besonders herausgestrichen. Wir möchten in diesem Forschungsprojekt eine Methode entwickeln, um alle Auswirkungen ausgeglichen zu erfassen. Das ist eine Herausforderung, denn wir erwarten, dass Vieles im Kleinen abläuft, in der Summe aber relevant ist. Zum Beispiel haben Gemeinden viele Freiheiten in der Raumplanung. Nicht alle sind aber bei den Standard-Einstellungen einer Software vorgesehen und die Gemeinden nutzen ihre Möglichkeiten deshalb vielleicht weniger aus.
Was könnte die Digitalisierung sonst noch verändern?
Es könnte sich ändern, welche Personenkreise sich am Planungsprozess beteiligen. Alle Planungsprojekte müssen am Ende bei Gemeindeversammlungen oder Abstimmungen angenommen werden. Deshalb muss die Bevölkerung involviert sein, sonst gibt es Widerstand. Diese Mitwirkung ist ein ganz wichtiger Teil der Raumplanung. Aber wenn sie online abläuft, also man den Plan aufrufen und Kommentare dazu machen kann, spricht das andere Leute an als die traditionellen Workshops im Gemeindehaus. Personen, die digital weniger geübt sind, könnten sich weniger einbringen. Das verändert womöglich das Resultat der Planung, also die Pläne selbst, aber auch, wie transparent oder gerecht sie ist.
Es sind private Firmen, die digitale Technologien entwickeln. Was bedeutet das?
Es gibt wenige dominante Softwarefirmen weltweit in der Raumplanung, das verleiht diesen viel Macht in einem Bereich, der bisher vom lokalen politischen Kontext dominiert wurde. Das ist eine unserer Arbeitshypothesen. Auch Künstliche Intelligenz wird mehr und mehr gebraucht, zum Beispiel, um Pläne zusammenzufassen. Wir untersuchen, was in der Praxis benutzt wird und wie sich das auswirkt.
Wie untersucht man das?
Wir werden zum einen die Praxis studieren, also wie Planer und Planerinnen diese Technologien nutzen. Unser zweiter Fokus liegt auf den Motivationen von Anbietern der Planungstechnologien. Das sind einerseits Technologie-Firmen, die GIS und Planungs-Softwares entwickeln, aber auch Consulting-Firmen, die Behörden beraten. Der dritte Fokus sind die online-Portale selbst, und wie sich Daten und Algorithmen dahinter auf das Resultat der Planung auswirken.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Wir möchten die Einflüsse und Wechselwirkungen von Technologien, Daten und Algorithmen auf die Pläne und die Planungsprozess offenlegen. Damit möchten wir die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Denn die Digitalisierung hat die Planung mehr oder weniger überrollt, ohne dass deren Auswirkungen klar sind, es Goldstandards oder eine bewährte Praxis (Best Practice) dazu gibt. Um das umfassend anzuschauen, braucht es ein solches grosses Projekt. Würden wir nur einzelne Aspekte untersuchen, hätten wir am Ende kein Verständnis davon, wie die Digitalisierung zu beurteilen ist und wo man besonders genau hinschauen muss. Darum ist der Advanced Grant wirklich eine aussergewöhnliche Möglichkeit.
Anna Hersperger ist Raumplanerin, Leiterin der WSL-Forschungsgruppe Landnutzungssysteme und Mitglied der WSL-Direktion. Sie untersucht, wie sich raumplanerische Instrumente und Prozesse auf den öffentlichen Raum auswirken und ihn verändern. Sie hat bereits 2015 einen SNSF-Consolidator Grant über 2 Mio. CHF für ein Projekt über den Einfluss der Raumplanung auf die Entwicklung urbaner Regionen erhalten. Sie ist Ehrenprofessorin an der Universität Bukarest.
SNSF Advanced Grants
Die Schweiz ist als nicht-assoziiertes Drittland vom EU-Forschungsprogramm Horizon Europe und seinen prestigeträchtigen, kompetitiven Forschungsstipendien ausgeschlossen, den ERC Advanced Grants. Deshalb lancierte der Schweizerische Nationalfonds SNF im Auftrag des Bundes die Übergangsmassnahme SNSF Advanced Grants 2023. Diese richtet sich an Forschende, die sich für einen ERC Advanced Grant bewerben wollten. 16 Forschenden wurde nun ein SNSF Advanced Grant zugesprochen, fünf Frauen und elf Männern. Sechs der geförderten Projekte stammen aus dem Bereich Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurwesen, fünf aus den Biowissenschaften und fünf weitere aus den Geistes- und Sozialwissenschaften.
WSL-News: https://www.wsl.ch/de/news/15-millionen-chf-fuer-forschung-zur-digitalisierung-in-der-raumplanung/